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Kinderschutz – Kindeswohlgefährdungen erkennen

Kindeswohlgefährdung – KWG – bedeutet die bewusste oder unbewusste Gefährdung des körperlichen, seelischen, geistigen Wohls eines Kindes sowie die Gefährdung der Persönlichkeitsentwicklung.
Sie kann durch aktives Handeln oder durch passives Nichthandeln auftreten.

In der Regel werden vier Handlungs- bzw. Unterlassungsbereiche unterteilt:

Vernachlässigung

Vernachlässigung ist eine ständige oder wiederkehrende Unterlassung fürsorglicher Handlungen der Eltern oder anderer autorisierter Betreuungspersonen, die für die Versorgung des Kindes auf körperlicher oder emotionaler Ebene nötig wären und deren Versäumen zu einem chronischen Mangelzustand beim Kind oder Jugendlichen führt.

Dabei ist es unerheblich, ob die Unterlassung aktiv (Tun) oder passiv (Dulden) geschieht oder auf Grund unzureichender Einsicht (Wollen) oder unzureichenden Wissens (Können) erfolgt.

Aufgrund ihrer psychischen und physischen Abhängigkeit sind insbesondere Säuglinge und jüngere Kinder gefährdet.

Körperliche und materielle Vernachlässigung meint beispielsweise die unzureichende Versorgung mit Essen und Trinken, witterungsgemäßer Bekleidung oder auch mangelhafte Hygiene, mangelhafte medizinische Versorgung, unzureichende Wohnverhältnisse u.ä.

Erzieherische und kognitive Vernachlässigung bezieht sich u.a. auf fehlende Kommunikation, mangelnde erzieherische Einflussnahme, fehlende Anregung zum Spiel und Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Emotionale Vernachlässigung bedeutet ein Mangel an Wärme, Geborgenheit und Wertschätzung, fehlender Respekt vor den Bedürfnissen des Kindes und ein unzureichendes Bindungs- und Beziehungsangebot. Auch Missachtung, Einschüchterung und Demütigung sind aktive Komponenten von emotionaler Vernachlässigung.

Zudem ist unzureichende Aufsicht (alleinlassen von Kindern innerhalb und außerhalb des Wohnraums, ausbleibende Reaktion auf unangekündigte Abwesenheit) des Kindes.ein Hinweis auf eine Mischung verschiedener Formen der Vernachlässigung.

Vernachlässigte Kinder werden leider häufiger auch Opfer weiterer Misshandlungsformen.

Sexualisierte Gewalt

Sexuelle Gewalt bezeichnet viele Handlungen im sexuellen Kontext zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen.
Sexuelle Gewalt ist sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, sexueller Übergriff, verbale Belästigung, unerlaubte intime Berührungen, sexuelle Nötigung, Pornographische Darstellungen von oder für Kinder … und einiges mehr.

Definition

Definition des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung:

„Sexueller Missbrauch oder sexuelle Gewalt an Kindern ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können. Der Täter oder die Täterin nutzt dabei seine/ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen.

Diese sozialwissenschaftliche Definition bezieht sich auf alle Minderjährigen. Bei unter 14-Jährigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie sexuellen Handlungen nicht zustimmen können. Sie sind immer als sexuelle Gewalt zu werten, selbst wenn ein Kind damit einverstanden wäre.

Wo Missbrauch beginnt

Die Handlungen, die als sexuelle Gewalt oder Missbrauch bezeichnet werden, weisen eine große Bandbreite auf. Nicht jede sexuelle Gewalt ist strafbar, aber jede sexuelle Gewalt verletzt Mädchen und Jungen.

Sexuelle Gewalt beginnt bei sexuellen Übergriffen wie verbaler Belästigung, voyeuristischem Taxieren des kindlichen Körpers, aber auch flüchtigen Berührungen des Genitalbereichs oder der Brust über der Kleidung. Passiert die Berührung aus Versehen, spricht man nur von einer Grenzverletzung, die mit einer Entschuldigung aus der Welt geschafft werden kann.

Um strafbaren Missbrauch handelt es sich, wenn sexuelle Handlungen am Körper des Kindes stattfinden oder der Erwachsene bzw. Jugendliche sich entsprechend anfassen lässt, z.B. die Genitalien des Kindes manipuliert, ihm Zungenküsse gibt, sich vom Kind befriedigen lässt. Zu den schweren Formen zählen Vergewaltigungen aller Art: vaginal, oral, anal. Es gibt auch Missbrauchshandlungen, die den Körper des Kindes nicht direkt einbeziehen, z.B. wenn jemand vor einem Kind masturbiert, sich exhibitioniert, dem Kind gezielt pornografische Darstellungen zeigt oder es zu sexuellen Handlungen an sich selbst - beispielsweise auch vor der Webcam - auffordert.

Sprachgebrauch – „sexueller Missbrauch“ oder „sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt“?

In Deutschland wird der Begriff „sexueller Missbrauch“ in der breiten Öffentlichkeit, in den Medien und von vielen Betroffenen verwendet. Auch das Strafgesetzbuch spricht von sexuellem Missbrauch, meint aber anders als der allgemeine Sprachgebrauch damit nur die strafbaren Formen sexueller Gewalt.
Fachpraxis und Wissenschaft sprechen häufig von „sexueller Gewalt an Kindern bzw. Jugendlichen“. Diese Formulierung stellt heraus, dass es sich um Gewalt handelt, die mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird. Der ebenfalls verwendete Begriff „sexualisierte Gewalt“ geht noch einen Schritt weiter und verdeutlicht, dass bei den Taten Sexualität funktionalisiert, also benutzt wird, um Gewalt auszuüben.

Weitere Informationen

Misshandlung

Kindesmisshandlung meint physische und psychische Gewalt, bei der mit Absicht Verletzungen und Schädigungen herbeigeführt oder aber diese Folgen mindestens bewusst in Kauf genommen werden.

Alle gewaltsamen Handlungen (aus dem Affekt oder als Erziehungsstil) sind Misshandlungen.

Misshandlungen können Kindern durch Eltern, Personensorgeberechtigte oder auch durch Personen zugefügt werden, die zeitweilig mit der Betreuung, Erziehung oder Beaufsichtigung von Kindern betraut sind. In Frage kommen letztendlich aber auch Fremde bzw. den Kindern kaum bekannte Kinder, Jugendliche oder Erwachsene.

  • Körperliche Misshandlungen sind Stöße, Schläge, Tritte, Stiche, Verbrennungen u.ä.

  • Seelische Misshandlung sind Demütigung, Ängstigung, Ablehnung oder Herabsetzung, Stigmatisierung, das Isolieren von Kindern, das Terrorisieren oder Ignorieren im Sinne des Entzugs elterlicher Aufmerksamkeit oder Ansprechbarkeit und Zuwendung.

Häusliche Gewalt

„Häusliche Gewalt“ bezeichnet Gewalt im vermeintlichen Schutzraum des eigenen Zuhauses oder des eigenen Nahraumes und sozialen Umfeld. Sie wird überwiegend von Männern gegen Frauen ausgeübt. Sie ist Ausdruck des strukturellen Machtverhältnisses zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft.

Der Begriff „Häusliche Gewalt“ umfasst alle Formen der körperlichen, sexuellen, seelischen, sozialen und ökonomischen Gewalt zwischen erwachsenen Menschen, die in einer nahen Beziehung zueinanderstehen oder gestanden haben.
Häufig sind das Personen in Lebensgemeinschaften, aber auch in anderen Verwandtschaftsbeziehungen.

Kinder erleben häusliche Gewalt als eine direkte Bedrohung für sich, die Angst, Verunsicherung und ein spezielles Verhältnis zu Gewalt auslöst. Diese Umstände wirken sich auf die Persönlichkeitsentwicklung aus und können das Wohl eines Kindes erheblich gefährden und beeinträchtigen.

Informationsbroschüre: »Wenn Kinder häusliche Gewalt erleben«

Kindeswohlgefährdend ist die andauernde und anhaltende Verletzung der Rechte des Kindes.

Auf eine Kindeswohlgefährdung weisen meistens „gewichtige Anhaltspunkte“ (§ 8 SGB VIII) hin. Diese Hinweise werden von den beteiligten Fachkräften eingeschätzt um dann mit passenden Hilfsangeboten unter Beteiligung aller, die Gefährdung für das Kind abzuwenden. Wenn dies nicht gelingt, werden als staatliche Instanzen, im Sinne des Grundgesetzes (Artikels 6 GG) und des Bürgerlichen Gesetzbuches (§1666 BGB) das Jugendamt und das Familiengericht einbezogen.

Kindeswohlgefährdung ist ein undefinierter Rechtsbegriff. Trotzdem gibt es juristische Orientierung durch entsprechende Grundsatzurteile.

Auszug aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs

  1. Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.
    (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212).
  2. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212).


BGH, Beschluss vom 6. Februar 2019 - XII ZB 408/18 - OLG Karlsruhe AG Freiburg im Breisgau